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Aus dem Bentheimer Jahrbuch von 1935

Vom alten Uelser Mühlenteich

von Ludwig Sager

Wer von Uelsen der Mittagssonne entgegengeht, der trifft an der Höcklenkamper Gemarkungsgrenze auf eine alte fürstliche Wassermühle. Sie steht bescheiden rechts am Wege und ist gar nicht böse, wenn du achtlos vorübergehst. Womit sollte sie auch prunken – womit dich anlocken? Kein Motor prustet und pustet in ihren windschiefen Bretterwänden. Benzin ist ihr auch heute noch fremd. Dach und Seiten sind sichtlich geflickt und sehen nach Armut und überlebter Dienstzeit aus. Eigentlich gehört sie ins Museum, da sie die Zeit verschlafen und so gar sehr rückständig geblieben ist.

Wassermühle Uelsen

Nun ist aber der Müller, der aus der Luke schaut, ein pfiffiger Mann, der das Gras wachsen hört und deine Gedanken sieht. "Wir sind noch nicht tot!" will er sagen, während er nach oben auf die Böschung eilt und ein kleines Wehr leicht anhebt.

Da drängt sich rieselnd ein dicker Silberstrahl durch eine schmale Rinne, schießt koppheister nach unten und klatscht auf das schwere, unförmige Mühlrad, füllt tosend und triefend seine Kästen, und nun dreht sich wirklich das alte, morsche Gestell, erst langsam, aber schneller und schneller wird´s zum flinken, munteren Burschen, saust mit den sprühenden Wassern in die Tiefe und jauchzt drüben wieder empor.

Hand aufs Herz: soviel Jugend hättest du ihm nicht zugetraut?

Hat die neumodische Zeit dich selbst noch nicht ganz unter, so erweise dem alten Kasten die ihm gebührende Ehre, rede plattdeutsch mit ihm und sag: "Datt ha´ck di nich ut de Maue schütt!" So muß es nämlich an diesem Orte heißen. Oberhalb liegt der Mühlenteich. Der schämt sich noch mehr als vorn die Mühle. Binsen, Reet und Rubold (Schachtelhalm nennt man das Zeugs sonst, aber hier kommt man immer in die Landessprache) sind ihm übers ganze Gesicht gewachsen, und damit kann er sich wirklich nicht wichtig tun. Eichen und Erlen wachen über ihm und wollen sich gern im klaren Wasserantlitz spiegeln, aber davon ist nichts zu sehen. Erst wenn du neugierig weitertappst, vielleicht einen fetten Rohrkolben brechen willst, spürst du aufsteigende Nässe an Füßen und Beinen: "Zum Kukuck! Ich stehe im Wasser!"

Allerdings – doch mehr Schlick als Wasser ist´s! Lieber Freund, bleib da fort! Dieser Mühlenteich ist schon seit Menschengedenken ein garstiger Gesell und ist nicht der richtige. Überhaupt, er hat weder Geschichte noch Tradition und kann darum auch nichts erzählen.

Willst du Geschichten hören, so gehe mit mir den Pfad rechts über die Einfassung, d.h. wenn du nur Asphalt und Parkett gewöhnt bist, so nehme ich dich nicht gerne mit. Tröste dich, die Schuhe sind morgen früh wieder blitzeblank und die Füße, wenn du sie aus dem warmen Bett ziehst, sicherlich trocken.

Das Teichgelände verliert sich langsam in sumpfigen Wiesen und Buschwerk. Ein Bächlein bricht weiter oben aus einer scheinbaren Talsenke hervor. Wir gehen langsam aufwärts und stehen auf einer neuen Böschung. Stämmige Kiefern überschatten sie. Vor einem Jahrzehnt hat dieser harmlose Bach hier eine "Porta Westfalika" geschaffen, hat den Damm durchbrochen, als ihm infolge anhaltender Regengüsse der Kamm geschwollen. Ein Drama war’s, hat alle Freud´ und Schönheit vernichtet, die hier vor einem halben Menschenalter die Menschen beglückte. Noch säumt die Baumreihe das lange Oval ein, nach Westen zu füllt büscheltragendes, dürres Ried die Lücke aus. Und in der mollenartigen Senke sprießen Binsen und reckt sich Faulbeere und Wilgenholz. Ein Bächlein, die Lindenbecke, quält sich mühsam hindurch. Diesseits rauschen auf sandigem, langgestrecktem Hügel die Kiefern wie damals, als der alte, obere Mühlenteich noch als schimmerndes, blankes Auge aus der grünen Landschaft heraussah.

Der alte Uelser Mühlenteich! Dies ist, dies war der richtige! Rund herum spuken noch Märe und Sage: Weißt du noch? Es war einmal –

Ja, es war einmal ein sonniges Fleckchen Erde zwischen Tannen und Wiesengrün. Da läuteten fein und leise die Meisen, zirpten die Goldhähnchen und schmetterte der Buchfink seine laute Strophe: so kann ich’s! Und die eitle, bunte Markkloave schimpfte über die faule Sommergesellschaft im Grase, die anstatt in Borkum oder Norderney hier in der Stille den grünen Strand aufsuchte. In der Stille?

So still waren sie meist nicht, die sich hier am Nachmittag einfanden, wenn die Sonne bunte Kringel durch die Zweige warf: Schüler in bunten Mützen, Schüler aus allen Semestern, Studenten aller Wissenschaften, junge Zollpraktikanten, für sechs Wochen nach diesem Idyll verschlagen, ferienfrohe Beamte, deren Wiege im Heidedorfe gestanden, Onkel und Tanten und Vettern aus der Fremde, die in der Uelser Tannenluft die Lunge rein baden wollten. Schreiber, Kauf- und Bürgersleute, die sich einige Stunden aus dem grauen Alltag heraussehnten, und der junge Bauernbursch ließ auch wohl "Schwa" und Schüppe eine kurze Weile rasten und tauchte in die Flut. Tauchte gleichfalls ein in das frohe Strandleben der Sorglosen, und das hielt ihn noch länger als das erfrischende Naß. Waren die Gemüter von heftiger Debatte oder vom Männerskat erhitzt, so ging´s unter die Rinne, das letzte Überbleibsel der längst verschwundenen Wassermühle.

Reste der zerfallenen Wassermühle

Im gleichförmigen Strahl ergoß sich noch tagein, tagaus das Bächlein aus luftiger Höhe auf die liegengebliebenen Quadersteine, plätscherte und stäubte zu Seiten auf das Farnkraut, wenn er nicht vorher auf jugendlich schlanke Leiber traf. Freund Schorse, der Höcklenkamper Mester, zitierte bei seinem Anblick den Alten von Weimar: "Leicht empfangen wallt er verschleiernd leis rauschend zur Tiefe nieder!"

Inzwischen war auch die "Erika" flott gemacht. Ruderschläge trafen das Wasser, daß die flinken Bleßhühner entsetzt über den Teich ins bergende Dickicht stoben. Flottenübungen gab´s auf dem freundlichen Weiher, wobei mancher rücklings über Bord flog. Spiegelten dann nach Sonnenuntergang "im glatten See alle Gestirne", trug der sanfte West würzigen Heuduft in den Waldwinkel, in die Stille des Abends, so glitt wohl ein selig Paar an flüsternden Halmen und hochragendem Wasserampfer vorbei und ließ die Stille reden –

Es war einmal –

Noch wölbt sich wie in jenen Tagen ein grüner Blätterdom über dem schmalen, talwärts fließenden Bächlein. In diese Kirche riefen einst die Morgenglocken friedensuchende Sonntagswandrer. Das volle, schwere Geläut, das über die Baumkronen vom Dorfe her schallte – hier wurde es zu Orgelklang, zu Psalter und Predigt.

Wenn aber der Winter frostharte Brücken schlug, scheuchte die glatte Eisfläche die Einsamkeit wieder in die schlafenden Höcklenkamper Heidhügel. Jugend bildete den Vortrupp der Kommenden, Jugend mit roten Wangen oder auch mit halb erfrorenen Rotznäschen. Füllte sich die schimmernde Weite mit fröhlich dahinfliegenden Menschen, hallte das Tal wieder von Jubel und neckendem Zuruf. Bald häuften sich Mäntel und Jacken am Ufer, es röteten sich die frischen Gesichter vor Wärme und Freude; sperrte doch der schützende Wald dem kalten Nordost das Tor zu dem winterlichen Festball. Buttjan schenkte drüben am "Töfelken" wohl einen guten Tropfen aus, doch brauchte er gewiß keinen Fröstelnden aufzutauen. Im Kreise ging´s wieder und wieder um die blanke Fläche, bis der Mond sich über den Lemker Berg schob und die junge Welt, untergehakt in langen Reihen, am Mühlenberg vorbei heimzog und sang: "Von den Bergen fließt ein Wasser – -" Ein Arm der Mühle wies nach dem Dorf, einer zurück nach dem Mühlenteich, der endlich im Mondenschein seinen Frieden wiedergefunden.

"Von den Bergen fließt ein Wasser –" du munteres Lindenbächlein, wieviel Freud und Wonne brachtest du mit von deinen braunen Hügeln! Bis der Übermut deiner Jugend dich packte, dir dein schmales Bett zu eng dünkte und du die breite Pforte einrissest. Es verblutete der Weiher im Walde. Mir ist´s, als hörte ich die grünen Kiefern klagen und Erlen und Eichen schimpfen über die undankbaren Menschen, die noch immer nicht die breite Pforte schlossen. –

So mag´s sein Schicksal bleiben, wie abgelebte Menschen von der Vergangenheit zu zehren und den Enkeln zu erzählen von vergangenen Tagen: Es war einmal ---


Quelle: Bentheimer Jahrbuch 1935

Kartenausschnitt 1850Die Idee, diesen Artikel von Ludwig Sager hier zu veröffentlichen, stammt von Geert Vrielmann-Jacobs. Die Tipparbeit übernahm H.J. Freinatis im Februar 2001. Das obere Foto der alten Wassermühle wurde uns vom Heimatverein 'Uelsen und Umgebung' (Gerrit-Jan Hesselink) zur Verfügung gestellt. Im Hintergrund ist der Höcklenkamper Weg erkennbar. Die Grußkarte von der zerfallenen Wassermühle ist im Besitz von Geert Vrielmann-Jacobs. Die beiden beschriebenen Mühlenteiche waren bereits auf dem nebenstehenden Kartenausschnitt aus dem Jahr 1850 verzeichnet.

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Erstellt: 23.02.2001, letzte Änderung: 11.07.2005    www.Uelsen-und-Umgebung.de