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Die Familie Hompes aus Uelsen – Jüdisches Leben im 19. Jahrhundert

von Geert Vrielmann-Jacobs

 

Ein Blick zurück

Zögerlich nähert sich ein Ehepaar mittleren Alters von der Höcklenkamper Straße kommend der Ortsmitte. Die Augen der Frau sind suchend und etwas scheu auf die Häuser rechts und links vor ihr gerichtet. Der Mann ist mit dem Ortsplan beschäftigt. Nicht das neue Rathaus, auch nicht das  dominierende Kirchengebäude stößt auf Interesse. Es sind die wenigen alten Häuser am Markt, die
die Blicke anziehen. Langsam betreten die beiden die zufällig geöffnete Eingangstür des Alten Rathauses.
Sie kämen aus England und hielten sich zurzeit1 zu einem mehrwöchigen Aufenthalt in den Niederlanden auf. Und jetzt seien sie zwischendurch für ein paar Tage in diesem Ort. In gebrochenem, aber gut verständlichem Deutsch fragt der Mann, ob hier in Uelsen der Name Hompes bekannt sei. „Eigentlich nicht“, hätte die ehrliche Antwort heißen müssen. Aber es gäbe da ein altes Anschreibebuch - wie heißt das auf englisch? -, darin käme dieser Name öfter vor.
Die Neugier ist geweckt. Ein herbeigerufener Uelser Familienforscher ist nach kurzem Gespräch am Telefon ebenfalls zur Stelle. Am nächsten Tag trifft man sich erneut, diesmal in der Mühlenstraße. Es folgt das obligatorische Erinnerungsfoto vor dem Haus, an dessen Stelle die jüdischen Vorfahren gewohnt und gelebt haben.
Eine Synagoge habe es in Uelsen doch auch gegeben, wo die denn gestanden habe?

Erste jüdische Spuren

Den ersten schriftlich überlieferten Juden in Uelsen vermeldet das Protokoll der Evangelisch-Reformierten Kirche2 aus dem Jahr 1726. Dem verarmten rabbi Meyer van Hamburg wurde damals Unterstützung aus der Diakonie gewährt. Ausdrücklich ist erwähnt, dass er bekehrtwar. Die Gründe für den Wechsel der Religionszugehörigkeit liegen auf der Hand.
Siebzig Jahre später kam  zum Ausdruck, dass die Ortskirche den Fremden nicht wohlgesonnen war. Der Kirchenrat formulierte am 4.Mai 1796 ein Ersuchen an den Bürgermeister, „dat er geen meer dan twee Jodenhuishoudingen in Ulzen komen“.  Mehr als zwei jüdische Haushalte im Ort wollte also auch die Kirche nicht tolerieren. Mit diesem Anliegen sprach man weiten Teilen der Bevölkerung aus der Seele. Als kirchliches Argument diente die Missachtung der Sonntagsruhe durch die jüdischen Händler (en dat hun verboden worden geen handel op onzen zondagen te drijven).

Eine Beschwerde der Dorfbewohner

An dem öffentlichen Protest gegen die Juden, der im Jahr 1764 einen Höhepunkt erreichte, beteiligte sich die offizielle Kirche nicht. Damals unterzeichneten 15 Uelser Bürger- allesamt Repräsentanten des Dorfes - ein selbst verfasstes Protestschreiben.3.
Ausschließlich die jüdischen Mitbewohner seien Schuld daran, dass ihr Ort in wenigen Jahren derartig in Verfall geraten seien. Viele Bürger seien geradezu ausgelaugt und in einen ärmlichen Zustand geraten. Sie hätten all ihre Güter verloren. Davon betroffen seien ausgerechnet diejenigen, die viel mit Juden umgegangen seien und mit ihnen Handel getrieben hätten. Mit einemchristlichen Kaufmann oder Ladenbesitzer seien solche Geschäfte nicht erlaubt. Resignierend stellten die Beschwerdeführer fest, dass die Juden nach ihrer Ansicht niemals nach Uelsen hätten kommen dürfen. Was natürlich verschwiegen wurde, war die Tatsache, dass sich die christlichen Unterzeichner unerwünschte Konkurrenz vom Leibe halten wollten. Die Absicht der Eingabe ist unschwer zu erkennen. Wenn man sich schon mit der Ansiedlung- nach Meinung der Beschwerdeführer viel zu vieler- jüdischer Familien abzufinden habe, so solle die Landeshoheit zumindest deren Rechte beschneiden.
Was König Georg von Hannover genau ein Jahr vorher für die Juden in der Grafschaft angeordnet hatte, entsprach nicht den Vorstellungen der Uelser, erst recht nicht der eingesessenen Händler und Kaufleute. Dabei hatte der Landesherr die Judenordnung von 1763 eingeführt, weil „verschiedene Misbräuche bey gedachter Judenschaft eingeschlichen seyen“.4  Die Dorfbewohner sahen den vermeintlich freien Handel von Juden als die Wurzel allen Übels.

Die Ursprünge der Kaufmannsfamilie Hompes

In dieser Zeit lebte Joseph Humpes in Uelsen. Er stand wie sein jüdischer Mitbewohner Jacob Abraham als Schutzjude5 unter dem Schutz des Landesherrn, an den er den dafür notwendigen Tribut gezahlt hatte. Um aber ein anerkannter Mitbürger zu sein, hätte es zusätzlich einer Anpassung an dörfliche Gepflogenheiten bedurft. Die Heftigkeit des Bürgerprotestes lässt vermuten, dass damals mehr als die beiden genannten Juden in Uelsen ansässig waren bzw. hier Handel trieben.
Uelsen war damals übrigens der bedeutendste Marktort der Grafschaft.6
So wie  die wirtschaftlichen Umstände über die Jahre schwankten, so waren auch die Lebensbedingungen durch politische Veränderungen  mal besser, mal schlechter. Die Familie Humpes hielt durch.
Auf die Generation des Joseph Humpes folgt die Generation der Geschwister Emanuel und Hertog Hompes. Sie und ihre Familien werden mit  Genugtuung die Verbesserungen während der französisch-napoleonischen Besatzung vernommen haben. Ob die angeordnete bürgerliche Gleichstellung der Juden auch die Atmosphäre des dörflichen Zusammenlebens positiv beeinflusste?

Ein Privileg für Uelser Juden

Zu einer für die regionale Geschichtsforschung einmaligen Entwicklung kam es in diesen Jahren in Uelsen. Der Vorsteher Maire Meyer („Dierector“)7 verschaffte  Juden einen bisher für nicht möglich gehaltenen sozialen Status. Er verlieh am 28.8.1809 Emanuel Hompes, Hertog Hompes, den Eheleuten Joseph Hertz und Klara Israel sowie Heyman Joseph das Bürgerrecht.8 Lediglich für das Ehepaar musste ein christlicher Ortsansässiger bürgen, nämlich Derk Boekhold. Alle bezahlten ihren Beitrag vollständig, blieben allerdings genauso wie die übrigen Neubürger die Lieferung des ledernen Eimers schuldig. Fünf Wochen später erhielt auch Samuel Ruijs die Absicherung durch die Dorfobrigkeit. Ein Jahr später, am 27.10.1810, waren Hartog Hompes und Joseph Heyman imstande, das Bürgerrecht auch für ihre Frauen Isabella Leefman aus Steinfurt und Rosetta Heyman aus Cloppenburg zu erwerben.
Im Jahr 1814, also in der nachfranzösischen Zeit, hat sich an der Großzügigkeit der Uelser den Juden gegenüber nichts geändert. Mit dem unbedachten, aber deswegen nicht weniger diskriminierenden Protokollzusatz „de joode“ erlangte Salomon Abraham Voss für sich, für seine Frau Sibilla und für seine  Kinder das Bürgerecht. Wahrscheinlich im Zusammenhang mit seiner Trauung wurde zur gleichen Zeit der „huisfvrouw“ von Emanuel Hompes, nämlich Ester David aus Bentheim, das gleiche Recht gewährt. Sie starb 1840 (Grabstein Nr. 27 Neuenhaus).9

Fußnoten:

1 Mai/Juni 2002
2 Gereformeerde Kerk Uelsen, Kerkenraadsprotokollen 1703 - 1808; transcriptie door B.J. Boerrigter
3 Bestand Gerhard Naber, Nordhorn
4 Judenordnung 1763;  Privatbesitz
5 Die jüdischen Gemeinden in NO-Overijssel und der Grafschaft Bentheim, Verlag: Heimatverein der Grafschaft Bentheim; Schriftenreihe „Das Bentheimer Land“; Nr. 121 Jg.1990, darin: Heinrich Voort, Demographie, Wirtschaftsleben und soziale Stellung der Juden in der Geschichte der Grafschaft Bentheim, Seite 13
6 Bentheimer Jahrbuch 1995; darin: Heinrich Voort, Vier Jahrhunderte Jahrmärkte in Uelsen, Seite 11
7 Diesen Titel fügte der Bürgermeister seiner Unterschrift hinzu
8 Der Originaltext lautet: 1809/den 29. Augustus heeft Emanuel Hompes voor zich zelven het burgerecht verkregen en alles betaalt buyten den Leren emmer zo ook voor zijn Dogtertjen Siebilla Hompes voor een Tractement  Quelle: Protokoll- und Bürgerbuch Uelsen (beginnend 1653);  Privatbesitz
9 Recherche Diddo Wiarda, Neuenhaus

 

Quelle: Auf den Spuren Jüdischen Lebens in der Grafschaft Bentheim, ISBN 3-922428-69-X, Herausgeber: Landkreis Grafschaft Bentheim, Seite 338 ff. Mit freundlicher Erlaubnis von Geert Vrielmann.

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Erstellt: 29.04.2018, letzte Änderung: 29.04.2018   www.Uelsen-und-Umgebung.de