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VON JAN MÜLSTEGEN
Das Dorf Uelsen konnte im Jahr 1981 auf sein 850jähriges Bestehen zurückblicken. Die erste Besiedlung dieses Gebietes ist weit älter. Bodenfunde bezeugen, daß in der mittleren Steinzeit jagende und Früchte sammelnde Menschen sich hier aufhielten. Die frühesten Existensgrundlagen, die der Naturraum für den säßhaften Menschen zu bieten hatte, waren nach der Jäger- und Sammlerzeit die getreidefähigen Böden. Mit der Einführung der Plaggendüngung um etwa 600 bis 800 n. Chr. konnte man auf derselben Fläche den »ewigen Roggenbau« betreiben und brauchte die Höfe nicht mehr wegen Auslaugung der Äcker zu verlegen. Erst von dieser Zeit an liegt der Standort der Hofstellen um Uelsen endgültig fest.
Die ersten säßhaften Bauern waren noch Heiden, die ihre Toten verbrannten. Ihre Kultstätten hatten sie im heutigen Hounehook (nicht Hundehook). Es ist bekannt, daß die ersten christlichen Kirchen in unmittelbarer Nähe solcher Heiligtümer errichtet wurden. So geschah es auch in Uelsen. Die erste Kirche wurde um 800 gebaut und das große Kirchspiel gebildet.
Alle Wege aus den Bauerschaften des Kirchspiels führten einst über Scholte Meyerinks Hof am Nackenberg. Sie sind heute, nach über 1000 Jahren, innerhalb des Dorfes größtenteils noch vorhanden bzw. rekonstruierbar.
Betrachten wir jetzt, im Uhrzeigersinn, die zum Schultenhof führenden Kirch- und Leichenwege und beginnen damit im Norden. Hier haben wir die Hardinghausener Straße. Über sie kamen die Kirchgänger von Wilsum, Hardinghausen, Gölenkamp und Haftenkamp. Die Trasse der Gölenkamper Straße ist ein neuzeitliches Gebilde. Sie fällt als früherer Kirchweg aus.
Besonderes Interesse weckt der Wilsumer Leichenweg. Er gilt seit Generationen als verschollen. Von Uelsen aus, durch den Hohlweg des Rammelberges, ist er noch bis zum Hilgen Böilt zu verfolgen. Hier verliert sich sein weiterer Verlauf. Studieren wir aber die Gaußsche Landesaufnahme sehr gründlich, dann finden wir als Verlängerung von dem uns bekannten Streckenabschnitt einen Fußweg bis nach Wilsum. Diesen Fußweg möchte ich als den ehemaligen Kirch- und Leichenweg von Wilsum zum Kirchdorf Uelsen ansehen. In einem Abstand von etwa einem Kilometer östlich von der jetzigen B 403 schlängelte er sich durch die Hügellandschaft.
Das Verschwinden dieses Weges hat zwei Ursachen. Erstens die Trennung der Bauerschaft Wilsum von der Uelsener Kirche und zweitens der Bau einer neuen Trasse zwischen Uelsen und Wilsum (die Wilsumer Straße, jetzt B 403).
Ein Problem bietet uns der vom Osten, aus den Bauerschaften Lemke und Hilten, kommende Weg. Die jetzige Neuenhauser Straße kommt als Kirchweg nicht in Frage. Ihre Trasse wurde zu Beginn des vorigen Jahrhunderts gebaut. Wir müssen eine Verbindung über den Marschbölt suchen. Mündliche Auskunft gibt es hierüber nicht. Es kann sich niemand mehr an einen anderen Fahrweg erinnern, als an den heutigen. Karten, alte wie neue, vermitteln alle das gleiche Bild. Wir sehen beim Hof Daling eine Verlängerung der heutigen Nackenbergstraße gen Osten, die zu einem Trampelpfad wird und letztendlich im feuchten Wiesengrund der Marsch endet. Das Gegenstück finden wir auf Lemker Seite. Auch hier sehen wir, in der Nähe des Hauses Küper, ein kurzes Trassenstück, das auch vor der tiefen Wiesenfläche, anfangs als Fußweg, dann aber völlig verschwindet.
Da taucht die Frage auf, mußten die Menschen früher, um das Dorf zu erreichen, dieses etwa 200 Meter breite Feucht- und Morastgebiet überwinden? Ja, mit Sicherheit war es so, denn die feuchte Niederung quer vor dem Dorf hatte eine strategische Bedeutung. Wir wissen, daß sich in früheren Jahrhunderten viele Ansiedlungen durch künstliche oder natürliche Hindernisse einen gewissen Schutz gegen räuberische Horden und Kriegsvolk verschafften. Veldhausen hatte sogar einen Wehrgraben, der von einem Sumpfgebiet (Vennhook) zum anderen (Hacht) reichte.
Blicken wir noch einmal kurz zurück zum nördlichen, von Hardinghausen kommenden Kirchweg. An der Stelle, wo am Fuße des Rammelberges die Wege aus den verschiedenen Bauerschaften zusammenstoßen, war auch ein Hindernis zu überwinden. Ein sumpfiges Bachtal (Bekkedaal) von knapp 50 Meter Breite behinderte ein rasches Vorankommen. Im Westen und Osten schloß sich morastiges Gelände an, so daß das Bachtal nicht umgangen werden konnte.
Von Südosten, durch die Bauerschaften Hardingen und Höcklenkamp (durchs Hoambarg) führte ein Leichenweg von Lage zur Uelsener Kirche. Bis auf kleine Abweichungen im Bereich Lage hat er noch heute seine ursprüngliche Linie. Zur Asphaltstraße wurde er erst vor 15 Jahren, so daß die Ursprünglichkeit bis in unsere Tage vorhanden war. Auf seiner gesamten Strecke, besonders aber auf Höcklenkamper Gemeindegebiet, hatte dieser Weg Moraststellen zu überwinden. Dies war auch sicher der Grund, warum der Weg als Hauptverkehrsverbindung zwischen Lage und Uelsen gemieden wurde und in unserer Zeit nur noch als landwirtschaftlicher Wirtschaftsweg eine untergeordnete Rolle spielte.
Als früherer Kirch- und Leichenweg nahm der Weg auf dem Kleikamp in Uelsen, am Fuße des Rönnebergs, wo heute der Gartenweg in den Hardinger Weg mündet, den Ootmarsumer Damm auf. Auf dem Ootmarsumer Damm (angelegt schon vor 1800) kamen die Bauern aus Halle, Hesingen und von Höcklenkamp ins Kirchdorf. Nach 250 Metern war nun dieser südöstliche Kirchweg am Brink in Uelsen. Der Brink hatte bis vor 150 Jahren eine ganz andere Form und ein größeres Ausmaß als heute. Im Halbkreis nach rechts, um nicht ohne den Schultenhof zu berühren zum Friedhof zu gelangen, wurde der Fahrweg zur heutigen Nackenbergstraße geleitet. Kurz bevor das Ziel erreicht war, war up 'n Mass noch ein Sumpfgebiet zu passieren. Für Fußgänger gab es einen Pfad über den Brink, von dem heute noch ein kurzes Stückchen vorhanden ist.
Im Bereich des Rönnebergs gilt die Beschreibung des Weges zwischen Uelsen und Lage nur für die letzten 200 Jahre. Der Rönneberg hatte ursprünglich ein viel größeres Ausmaß. Durch jahrhundertelangen Sandabbau, insbesondere auf der Ostseite, Besiedlung der dorfnahen Abhänge und den Wegebau, wodurch Hohlwege und steile Abhänge geschaffen wurden, schrumpfte der Berg sehr.
Dem Wegebenutzer aus Richtung Lage-Hardingen kommend, war er direkt vor dem Dorf ein kraftforderndes Hindernis. Fußgänger haben über den Berg ihren Weg, der sich oben verzweigte, gefunden. Fuhrwerke hielten sich am westlichen Abhang. Hier benutzten sie einen Höhenweg, der durch ständige Sandabtragungen in Jahrhunderten zu einem bequemen Fahrweg wurde. Heute verläuft hier der asphaltierte Hardinger Weg.
Die Rönnebergstraße (das Teilstück von der Neuenhauser Straße bis zum Hardinger Weg) führt durch die ehemalige Sandgrube (et Sândgatt) und war als Sandweg auf dieser Trasse schon um 1850 angelegt.
Beim Studieren der Le-Coq-Karte fällt auf, daß der Weg durchs Hoambarg zwischen Uelsen und Lage eine wichtige Verbindung war. Zur Stadt Neuenhaus gab es ehemals von Lage aus keinen direkten Fahrweg. Nur ein kleiner Fußweg entlang der Dinkel führte in die Stadt. Für Frachtwagen gab es einen Weg über die heutigen Straßen Goorweg (ein Teil des alten Uelsener Kirchweges), Ortfeld, Langenfeld, Hardinger- und Uelsener Straße. Erst mit der Anlage eines Sanddammes (heute K3) nach Neuenhaus zwischen 1805 und 1820 bekam Lage eine schnellere und kürzere Verbindung in die nahe Stadt. Neuenhaus, so wurde einige Male in der Heimatliteratur niedergeschrieben, habe ursprünglich vier Stadttore gehabt. Außer dem Uelsener-, Veldhauser- und dem Teichtor habe es ein viertes Tor an der Prinzenstraße in Richtung Lage gegeben. Dies entspricht nicht der Tatsache. Wer sich intensiv mit den alten Verkehrsverhältnissen in dieser Region beschäftigt hat, weiß, daß es über die Prinzenstraße von Neuenhaus nach Lage niemals einen Weg gegeben und somit auch kein Bedarf für ein Stadttor bestanden hat.
Nach diesem kleinen Abstecher wieder zurück nach Uelsen.
Die Kirch- und Leichenwege von Itterbeck und Getelo trafen am heutigen Friedhofsweg zusammen. Die Geteloer verließen ihre Bauerschaft am Tangenberg, weiter über den Mühlenweg und kamen über den Linnenbachweg und über den Weg Am Wasserwerk in Uelsen an. Die Itterbecker kamen nicht über den Weißen Berg, sondern ihr Weg verlief, bevor die Landstraße über Vennebrügge nach Hardenberg besteint war, weiter südlich. Diese Strecke ist seit der Aufforstung des Weißen Berges nicht mehr vorhanden. Das Uelsener Gebiet wurde am Stenebarg erreicht. Da es die Itterbecker Straße direkt am Fuße des Bookesches in Uelsen nicht gab, führte der westliche Kirchweg bis zum Hof Brinkmann über den jetzigen Friedhofsweg (der übrigens hier auch endete). Hier war, bevor es ins Dorf ging, zuerst noch eine feuchte Stelle zu durchqueren, dann ging es zwischen den Häusern Reurik und Bremann durch, über den Kappenberghoff rechts in die Wilsumer Straße, um nach 200 Metern links in die Nackenbergstraße und zum Schultenhof zu gelangen.
Die eigentlichen Karkenpäddkes waren Fußwege zur Kirche, sie wichen von der Trasse des Leichenweges ab. Wir haben in unserer Zeit diese Wege nur als Fietsenpäddkes kennengelernt. Im Gegensatz zu den Leichenwagen, die durch die Bauerschaften über die Höfe fuhren und die schlechten Wegstrecken zu bewältigen hatten, nahmen die Fußgänger den kürzeren Weg. Diese Wege oder Päddkes verliefen am Eschrand entlang und durch Wiesen- und Heideflächen. Grundsätzlich war ihr Verlauf trockener und sauberer als der des Leichenweges.
Ältere Bürger aus Uelsen haben mit Sicherheit noch »dat Harmkuser Karkenpäddken« in Erinnerung. Sie kennen sicher auch noch seinen Verlauf: ab Uelsen über Schultens Wüürte, am Rammelberg entlang, dann links vorbei an Geerinks Heuerhaus, durch die Holtwiesen, dann kurz vor Hardinghausen den steilen 67,6 Meter hohen Wellbarg hoch und weiter zum Hof Bosmann in Hardinghausen. Vor hieraus verästelte sich der Weg zu den einzelnen Höfen.
Von Hilten und Lemke aus bestand 300 Meter südlich des alten Fahrweges über den Marschbölt ein Fußweg, der auch heute noch innerhalb des Dorfes Uelsen erhalten ist. Zwischen dem Marschböltweg und der Neuenhauser Straße in Höhe der Bushaltestelle an »Dokters Tip« ist er noch zu finden.
Auch von der Höcklenkamper Straße war ein solches Päddken bekannt, welches schon sehr früh, mit dem Bau des Ootmasumer Dammes in Vergessenheit geriet. Ein kleiner Abschnitt dieser Trasse ist heute noch einigen Bürgern bekannt. Von Höcklenkamp kommend, links hinter den Häusern der Höcklenkamper Straße her in Richtung der Leichenhalle am Friedhof, westlich des Mühlenbergs und ab Hof Brinkmann über den kleinen schmalen Damm am Karpendiek entlang zum Kappenberghoff. Bekannt war dieser Weg auch als Päddken für den Müller, der mit beiden Mühlen, der Wind- und Wassermühle, jenach Energievorrat, arbeitete.
Um die erste Kirche in Uelsen siedelten sich Handwerker, Händler und Gastwirte an. Mit der Zunahme von Ansiedlern nahmen auch die Wege und Päddkes zu. Somit bestand schon frühzeitig im Dorf ein Netz vieler Verkehrswege.
Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wurden die Trassen der heutigen Hauptverbindungswege in die größeren Nachbarorte und in die Niederlande gelegt. Diese neuen Strecken führten alle durch das Dorf und nicht, wie es heute geschieht, um die Ortschaft herum. Innerhalb des Ortes gab es dadurch damals einige Veränderungen. An der Neuenhauser Straße entstand die Böschung des Rietberges. Östlich der Kirche, im sogenannten Pumpenhook, wurde die Straße stark verbreitert. Zwei Gebäude, die unmittelbar an der Kirche standen, wurden abgerissen.
Das Grundstück mit den Gebäuden bezeichnete man als »de Widderij«. Es war ursprünglich Kirchenbesitz, später Eigentum zweier Uelsener Bürger. Die Bezeichnung »Widderij« bedarf eine Erklärung. Im ganzen niederdeutschen Sprachraum und in der Twente ist dieses Wort in den verschiedenen Variationen bekannt. Außer Widderij auch Wedderij, Weddem, Weedeme, Wedem, Widem, Weeme, Weemhoff und bedeutete Pfarrhaus, Pastorengarten, Pfarrwitwenhaus, war aber eigentlich das unbewegliche Vermögen einer Kirchenpfründe.
Die Straße gabelte sich früher vor der Widderij, wobei die linke Fahrbahn als Botterstroate hinter dem Rathaus weiterlief und zur Itterbecker Straße wurde. Die Fahrbahn über dem Markt wurde erst um 1900 gebaut. Die Abzweigung rechts führte in Richtung Wilsum. Beide Straßen waren sehr enge Gassen.
Die Itterbecker Straße wurde geradewegs ins Dorf geleitet. Vom Bookesch mußte deshalb viel Sand abgetragen werden. Es entstand der steile Abhang. Mit dem Bau der »hogen Stroate« (Wilsumer Straße) verkleinerte man den Sonnenbergteich und auch den Sonnenberg.
Neu sind auch die heutige Geteloer Straße und die Höcklenkamper Straße entlang des Friedhofes bis unten ins Linnenbachtal. Auch die schon erwähnte Gölenkamper Straße ist als neuer Verkehrsweg von der Neuenhauser Straße bis zur Gölenkamper Gemeindegrenze anzusehen. Die schmale Straße zwischen den Hofstellen Geerink und Arink war der alte Kirchweg für die Kirchgänger aus Gölenkamp, sie mündete in der Nähe des Hofes Gerrit Scholte Meyerink in die Gölenkamper Hauptstraße. In Uelsen hatte diese Straße eine Verlängerung bis zur Hardinghausener Straße (wie heute auch wieder).
Die Wunden dieser früheren Wegebauten sind längst verheilt. Es haben in jüngster Zeit wieder große Eingriffe, die der Landschaft neue Wunden zufügten, stattgefunden. Die Verantwortlichen haben sich aber sehr beeilt und in einem bewundernswerten Tempo Schönheitsoperationen vorgenommen. So läßt es sich heute in Uelsen prächtig bummeln und einkaufen. Inzwischen gibt es sogar Straßencafés, und in den Sommermonaten, zur Hauptferienzeit, kann man den Eindruck gewinnen, ganz Holland tummele sich in der Qudratmeile um die große Kirche, dem Wahrzeichen des Dorfes.
Außerhalb der Ortschaft waren die Trassen der neuen Verkehrswege mit Feldsteinen, die in der weiten Heidelandschaft des großen Kirchspiels gesammelt worden waren, besteint. Viele erinnern sich noch an die Itterbecker oder Geteloer Straße. So lange ist es eigentlich noch garnicht her, daß derartige kopfsteingepflasterte Fahrbahnen mit dem danebenliegenden Sommerweg gegenüber früheren ausgefahrenen Sandwegen als Fortschritt betrachtet wurden. Leider sind diese Chausseen alle schon längst wieder dem Autoverkehr geopfert worden!
(Aus: Bentheimer Jahrbuch 1997, S. 127 - 137; dort unter der Überschrift: Alte und neue Wege; hier stark gekürzt)
Nachtrag 21.06.2009: Eine Leserin wies darauf hin, dass der Hof Daling korrekt Dalink heisst.
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Erstellt: 28.05.2001, letzte Änderung: 21.06.2009
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