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Hochzeit auf dem Lande

Von Geert Vrielmann-Jacobs

Im Sommer 1897 war bei Bauer Nordbeck in Hardingen Kindtaufe. Begonnen hatte alles zwei Jahre vorher mit einer für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Reise der jungen Fenna Nordbeck nach Brögbern und Baccum. Hier hatte sie sich eine Woche aufgehalten und ihren zukünftigen Ehemann kennengelernt, denn in der Folgezeit notierte ihr Vater weitere Besuche und Gegenbesuche zwischen den Familien Nordbeck und Tieding. (Alle Angaben entstammen "Mentzel und v. Lengerkes landwirtschaftlichem Hülfs- und Schreib-Kalender, Berlin", dessen über 30 Bände mit einer Fülle von persönlichen Notizen bis auf den heutigen Tag sorgfältig auf dem Nordbeckschen Hof aufbewahrt werden). Am 19. 2.1896 verlobten sich Fenna Nordbeck und Heinrich Tieding aus Brögbern. Pfingstmontag besuchte der junge Mann erstmalig den Gottesdienst in Uelsen und wurde somit der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit den Gedanken war er wohl woanders als bei der Predigt.

Verlobungsanzeige
Das neue Paar
Verlobungsanzeige aus dem
"Zeitungs- und Anzeigenblatt"
Fenna Nordbeck und Heinrich Tieding,
die jungen Leute auf dem Hof

Es kam zu einigen weiteren gegenseitigen Visiten, aber das größte Ereignis stand noch bevor. Handwerker wurden ins Haus bestellt, Anstreicher Engbers aus Uelsen tapezierte das neue Zimmer, Möbel aus Lengerich wurden geliefert und Schneider Smelink war mit seinem Knecht 3 Tage auf dem Hof, sie nähten für Fenna das Hochzeitskleid.

Noch mehr rückten aber die Planungen für das "Aufholen" des Bräutigams in den Mittelpunkt der Gespräche. Endlich wurde am 14. Oktober bei regnerischem Wetter der Zug der festlich geschmückten Wagen zusammengestellt. Nach kurzer Bettruhe machte sich tief in der Nacht um 1.30 Uhr unter spärlicher Beleuchtung eine Gruppe aus 28 namentlich genannten Personen, die auf einer Kutsche und 3 Ackerwagen verteilt waren, auf den weiten Weg nach Brögbern. Zwei Plätze mußten für die Rückfahrt noch frei bleiben. Bauer Harmen Nordbeck, damals immerhin 63 Jahre alt, und sein Fuhrmann Thys, der auch der erste Knecht auf dem Hof war, führten die mit 8 Pferden ausgestattete Gruppe an und bestimmten das Reisetempo. Als sie Neuenhaus erreicht hatten, ging vor ihnen am Horizont der Mond auf. In einer Woche würde Vollmond sein. Aber was wichtiger war: Es regnete nicht mehr.

Allmählich zog die Morgendämmerung herauf. Ein schöner Tag kündigte sich an. Vor Wietmarschen wurden die Dochte der mitgeführten Öl-Lampen zurückgedreht. Hatte man an alles gedacht? Würde der Schnaps reichen? 100 Liter, vor ein paar Tagen bei der Brennerei Scholten in Veldhausen, und wahrscheinlich nicht ausschließlich für den genannten Zweck gekauft, sollten doch wohl genug sein. Aber nicht nur die eigenen, auch die Brögberner Nachbarn stellten Ansprüche. Dazu würden die vielen Unterbrechungen und erzwungenen Zwischenstopps das Ausschenken etlicher Schnäpse notwendig machen.

Über den weiteren Reiseverlauf ist nichts bekannt. Den Reisenden hat sich dieser Tag sicherlich tief ins Gedächtnis eingegraben. 23 Stunden waren sie unterwegs und kehrten schließlich kurz nach Mitternacht mit Heinrich Tieding und seiner Schwester Elisabeth "im Reisegepäck" wohlbehalten auf Nordbecks Hof zurück. Die Schwiegereltern waren indessen mit der Eisenbahn angereist. Am darauffolgenden Tag fanden in Uelsen die Trauung und vier Tage später, am 20. Oktober 1896, in Hardingen die Hochzeitsfeier statt.

Kindtaufe

Diese Geschehnisse hatten sich knapp ein Jahr zuvor ereignet. Am 28. August 1897 konnte unser Chronist Harmen Nordbeck in seinen Kalender eintragen: Zwier Alerink Gras mähen, Brookmaote; Krabbe Land zurecht machen, Mittags um 1 ½ Uhr Mädchen geboren, anwesend Dr. Regenbogen und Hebamme Peters, nachher Frau Beckhuis. Ausgaben: Krabbe 3 Mark, Frau Peters 1 Mark, Hondebrink und Knecht 0,50 Mark. Am 10. September waren die Nachbarfrauen bei Nordbeck, wohl um den Ablauf der Taufzeremonie zu besprechen. Die Eintragung für Sonntag, den 12 September, lautet: Frieda Wilhelmina getauft von Pastor Schulte. Es sind mit nach Uelsen gewesen Hebamme Peters, Hille Beckhuis. Hindrikjen Westerhoff, H.Tieding- Nordbeck und Zwier Alerink. Die Stiefmutter von Heinrich und seine Schwester Elisabeth, die gestern mit der Bahn gekommen waren, sind um 4 ½ Uhr wieder abgereist. Lehrer Holsmölle kam gegen Mittag, Jenne Vischer abends. Die Mutter war nach altem, allgemein üblichem Brauch nicht mit zur Kirche, sie durfte in der nächsten Zeit nicht einmal in der Öffentlichkeit erscheinen.Das änderte sich erst nach den obligatorischen Gastvisiten.

Während einige Heuerleute und Familienangehörige am 24. September Kartoffeln rodeten (Sorte Edelkamp), versammelten sich die "Heuermannsweiber" bei Nordbeck zur sogenannten Kramvisite (im Kichspiel Uelsen hieß diese Veranstaltung umgangssprachlich und scherzhaft "Beenkes-Licken").

Ungefähr 7 Wochen waren seit der Geburt vergangen. Seit einigen Tagen herrschte schönes Herbstwetter. In Hardingen waren die Leute, unter ihnen auch Heinrich (Tieding-)Nordbeck, damit beschäftigt, für den neuen Lehrer bei der Schule einen Einzugsbogen zu binden und ihn schließlich am Sonnabend, dem 16.Oktober, aufzustellen. Harmen Nordbeck hatte anderes zu tun. Er schlachtete ein 32-pfündiges Schaf, welches er für 13,50 Mark bei Gortmann gekauft hatte. Ein besonderes Fest stand bevor. Fenna Nordbeck besuchte am folgenden Tag zum erstenmal wieder den Gottesdienst. Anschließend feierte sie mit ihrer Familie und den Gästen das "Reinigungsfest". Der Chronist notierte aus diesem Anlaß den Verbrauch von 8 Pfund Butter. Sie haben das Lammfleisch schmackhaft gemacht.

Hof- und Mühlenbesitzer Harmen Nordbeck setzte sich mit seinem über Jahrzehnte geführten Tagebuch ein Denkmal, welches Rückschlüsse auf seine eigene herausragende Persönlichkeit zuläßt, aber in erster Linie Eindrücke vom damaligen "Leben auf dem Lande" wiedergibt.

Siehe auch:


Ein Beitrag von Geert-Vrielmann Jacobs. Eingesandt am 18.01.2001. Dieser Beitrag erschien bereits im 'Grafschafter' 3/1998.

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Erstellt: 19.01.2001, letzte Änderung: 11.07.2005    www.Uelsen-und-Umgebung.de